Wolf Lepenies: "Deutsch-französische Beziehungen“

Wolf Lepenies (Rektor des Wissenschaftskollegs zu Berlin) über seinen Vortrag „Promessi Sposi – Vergangenheit und Zukunft der deutsch-französischen Beziehungen“:

„Die zur Freundschaft gewordene Aussöhnung zwischen Frankreich und Deutschland hat sich für beide Länder als ein Glücksfall erwiesen. Doch jetzt steht diese Freundschaft auf dem Prüfstand. Es zeigt sich, daß die deutsch-französischen Beziehungen im wesentlichen ein politisches Projekt sind, dessen kulturelle und geistige Basis nur schwach ausgebildet ist. Der deutsche Vereinigungsprozeß, den Frankreich erst nach langem Zögern unterstützte, und das Größerwerden Europas haben zu neuen Irritationen im deutsch-französischen Verhältnis geführt. Die Debatte um die Maastricht-Kriterien und den Euro ist dafür ein Beispiel. Neue Irritationen ergeben sich auch im Rückblick auf die Vergangenheit: die „Entdeckung“ Vichys und des ganzen Ausmaßes der collaboration hat in Frankreich zu einer weiteren Distanzierung von Deutschland geführt. Durch Ressentiment auf der einen, Taktlosigkeit auf der an-deren Seite bedingt, droht sich das „couple France-Allemagne“, wie Jules Romains es 1935 nannte, weiter zu entfremden. Bezeichnend dafür ist eine Re-Nationalisierung der auswärtigen Wissenschafts- und Kulturpolitik. Mehr denn je aber kommt es heute darauf an, daß Frankreich und Deutschland ihre bilateralen Beziehungen nutzen, um der europäischen Integration neue Impulse zu geben und im Zeitalter der Globalisierung das Beispiel einer Lerngemeinschaft zu bieten, die aus unterschiedlichen Erfahrungen und Kompetenzen der Partner Antworten auf die dringenden Probleme unserer Zeit entwickelt.“

Vortrag, gehalten am 11. März 1998 in der Carl Friedrich von Siemens Stiftung. Der Abend wurde geleitet von Professor Dr. Harald Weinrich.

Das Video wurde produziert von der Tele-Akademie (https://www.tele-akademie.de). Erstausstrahlung: 18. Oktober 1998. © SWR / Wolf Lepenies