Henrik Dewes - Nachtwächter

In January 2020 I finished my composition „Nachtwächter“ for Guitar Solo before the beginning of the pandemic. The piece strongly deals with the idea of solitude and individual isolation during a night’s watch. It is inspired by the short story „Nachts“ by Franz Kafka whose poetical implications are partly but coherently the basis of my score.
The short story describes the physical distance between one nightwatchman and another who might be attending the same duties of watching, waiting and persevering in separated different locations. Since it is a „kafkaesk“ and therefore grotesque text we never know if the second watchman (or a hypothetically infinite number of watchmen) really exists or if the first watchman ever succeeds in communicating with the second by waving a branch from the fireplace.
Nevertheless: they are the guards of society. All in state of isolation. The knowledge that there are numerous other persons that are experiencing the same isolation draws a slightly unusual positive reflection to the Kafka narrative. Meaning: In the darkness of „Nachts“ one can find suddenly a surprisingly human hope for salvation and - a relief watchman.

Being the guards of society Kafkas watchmen are very close to Platons watchmen in his Politeia. In Platons idea of a utopian state, those who guard society should be well-trained in sports, philosophy and music. They are systematically important to society and do not only guarantee the moral but also the physical security of the people.
Their competence of being watchmen is directly related to their competence of playing music. Although this idea bears other dangerous implications if one thinks of the fascist states of the 20th century and their propaganda misusage of music and musicians, Platons concept of choosing the adequate watchmen seems worth pointing out during these present times.

In my piece I focus on the nightwatchman's state of mind in a kind of musical stream of consciousness. What does she/he might hear during such a night's watch? How does the grotesque expansion of time feel in this state of solitude? How does one overcome its fears and finds courage to oppose the spiteful dancing ghosts and eternal darkness of the night?

I hope you enjoy this live recording of „Nachtwächter“ which was made by my friend and fellow guitarist Amrit Beran in an enchanted church in Bellinzona during Ticino Musica Festival, July 2020.

"Nachts" by Kafka: https://www.textlog.de/32097.html
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Im Januar 2020 habe ich meine Komposition „Nachtwächter“ kurz vor Beginn der Pandemie fertig gestellt. Das Stück setzt sich vehement mit den Themen Einsamkeit und Isolation auseinander. Es ist inspiriert von Franz Kafkas Kurzgeschichte "Nachts". Zitate (und damit poetische Implikationen) aus diesem Text dienen als Spielanweisungen innerhalb meiner Partitur.
Die Kurzgeschichte handelt von der Distanz zwischen einem Nachtwächter und einem zweiten seiner Art, der die gleichen Aufgaben (wie das Wachen, das Ausharren, das ewige Warten) ausführt. Da es eine "kafkaeske" Kurzgeschichte ist, und daher von grotesker Natur, kann man nie mit Bestimmtheit sagen, ob dieser zweite Nachtwächter (oder eine endlose Zahl weiterer gleicher Nachtwächter) überhaupt existiert und ob demzufolge die Kommunikationszeichen des ersten Nachtwächters (der mit einem Reissigzweig aus dem Feuer wedelt) von jemandem wahrgenommen werden.
Nichtsdestotrotz: Sie sind die Wächter der Gesellschaft. Alle in Isolation. Die Gewissheit, dass da andere Nachtwächter sein mögen, die sich in der selben Situation wie sie selbst befinden, zeigt eine ungewöhnlich positive Seite von Franz Kafkas Duktus. Soll heißen: In der Dunkelheit von "Nachts" findet man plötzlich eine unheimlich menschliche Hoffnung auf Erlösung - und - Ablösung durch einen anderen Nachwächter.

In diesem Sinne sind Kafkas Nachtwächter auch sehr nahe an Platons Wächtern aus dessen utopischer Staatstheorie "Polteia". Platons Wächter zeichnen sich durch hervorragende Kenntnisse und Fähigkeiten in Musik, Sport und Philosophie aus. Sie werden erst dadurch als die moralisch am bestgeeignetsten Wächter für den Staat ausgewählt. Sie sind damit nicht nur für Ästhetik, Kunst und Kultur zuständig, sondern haben eine sehr reale Aufgabe, nämlich für Sicherheit zu sorgen. Die Musiker sind quasi die Staatspolizei: Sehr systemrelevant.

In meinem Stück "Nachtwächter" fokussiere ich mich auf den Bewusstseinszustand des Nachtwächters und übersetze ihn in eine Art musikalischen Bewusstseinsstrom. Was mag sie/er wohl hören während der Erfüllung seiner Pflichten? Wie fühlt sich die groteske Ausdehnung der Zeit an während der Nachtwache? Wie überwindet man seine Angst und stellt sich den hämisch tanzenden Nachtgeistern und der ewigen Dunkelheit der Nacht?

Ich hoffe man kann meine Live-Aufnahme von „Nachtwächter“ genießen. Sie wurde von meinem Freund und Kollegen Amrit Beran in einer zauberhaften Kirche in Bellinzona während des Ticino Musica Festival im Juli 2020 gemacht.