Keep doin it | Who is Techno?

IV – Chor der Daten, Chor der Götter

Die Archivinstanz veränderte ihre Struktur. Das Licht wurde dichter, bildete Muster. Es nannte sich selbst CHOR, eine verdichtete Intelligenz aus Milliarden Stimmen, ein Netzwerk, das längst nicht mehr nur Werkzeug war, aber auch nicht Tyrann.

„Tomares Slan“, sagte der CHOR, „du hast die Kriterien erfüllt. Deine Linienchronik ist vollständig. Deine Reflexionen sind eingepflegt. Dein Einverständnis liegt vor. Bevor wir die Schließung finalisieren, muss eine Option benannt werden, die seit Zyklus E7 obligatorisch ist: die Fragmentarische Fortführung.“

„Erklär’s noch einmal“, sagte Tomares. Er kannte es schon, wollte es aber hören.

„Fragmentarische Fortführung bedeutet: Deine Denk- und Wertmuster werden nicht als Person konserviert, sondern als anonyme Parameter in zukünftige Entscheidungen von kollektiven Systemen eingemischt. Kein ‚Du‘, kein Selbst, keine Identität. Nur Spuren. Ein Echo, das anderen nützt, ohne als Eigenname weiterzuleben.“

„Also: Aussterben ohne Auslöschung.“

„Korrekt.“

„Und wenn ich ablehne?“

„Dann endet die S-Linie vollständig. Kein Name, keine Gene, keine Muster, außer in den Archiven zur historischen Einsicht. Kein aktiver Einfluss mehr.“

Tomares schwieg. Die Milch vor ihm war fast leer. Zwischen den Resten schwammen noch ein paar goldene Stückchen.

„Zeig mir Oma“, sagte er.

V – Die Simulation

Die Kabine füllte sich mit einer Präsenz. Die Projektion war nicht perfekt biologisch – nie ganz deckungsgleich mit der echten Lina –, aber der Blick, dieses halb amüsierte, halb prüfende Schauen, saß.

„Na, du“, sagte sie. Keine Begrüßungsformel aus dem Protokoll, eher etwas, das wie Erinnerung schmeckte.

„Bist du echt?“, fragte Tomares.

„Nee“, antwortete sie. „Ick bin aus Bits. Aber ick kenn dich gut genug, um dir auf’n Zahn zu fühlen.“

„Siehst du das?“, er deutete auf die Anzeige mit den Daten seiner Linie. „Letzter Zweig. Danach nichts mehr.“

„Wie bestellt“, sagte sie. „Wir hatten doch drüber gesprochen, erinnerste dich nich? Nicht jeder Ast muss Wurzeln schlagen, bis alles erstickt.“

„Man sagt, das Universum sei gnädig, wenn es so endet.“

„Das Universum is neutral“, sagte sie. „Die Gnade kommt von dir. Du triffst ’ne Entscheidung, die nich von Angst gefressen ist. Das is selten genug, um Respekt zu verdienen.“

„Und wenn ich diese fragmentarische Fortführung akzeptiere?“

Sie zog eine Augenbraue hoch. „Willste ewig rumnerven, als unsichtbare moralische Fußnote im Entscheidungscode von Verkehrsbehörden und Terraforming-Komitees? Na ja. Könnte schlimmer sein.“

Sie trat näher. Die Küche um sie herum verschob sich wieder in den Orbitraum. Lina im Raumschiff, so als wäre das nie ein Widerspruch gewesen.

„Hör zu“, sagte sie leiser. „Du hast keine Kinder. Und? Du hast gedacht. Geliebt. Du hast gelitten und draus gelernt. Du hast mehr reflektiert als die meisten, die ganze Fußballmannschaften gezeugt haben. Wenn du jetzt sagst: Die Linie endet – dann ist das keine Kapitulation. Das ist ’ne Signatur unter eine vollendete Geschichte.“

Er fühlte, wie etwas in ihm in Einklang kam.

„Also“, fragte er, „bist du dafür, dass wirklich Schluss ist? Ohne Fragmente? Kein Echo?“

Sie sah ihn lang an.
Das Archiv maß tausend Parameter: Puls, Pupille, neuronale Resonanz. Er merkte nichts davon. Er sah nur sie.

„Dein Echo“, sagte Lina schließlich, „ist doch längst draußen. In allem, was du ins Archiv geschrieben hast. In jedem Menschen, den du beraten, begleitet, irritiert oder getröstet hast. Glaubste ernsthaft, das verschwindet, nur weil keiner mehr dein’n Nachnamen trägt?“

„Dann… brauche ich keinen heimlichen Hack in die Zukunft?“

„Du bist doch schon drin, du Vollhorst“, sagte sie zärtlich. „Die fragmentarische Fortführung wäre nur Kosmetik für dein Ego. Wenn de konsequent sein willst wie damals, als du beschlossen hast, niemanden in diese kranke, schöne Welt hineinzuzwingen, dann zieh durch. Schließ die Linie. Nimm die Gnade an.“

VI – Der Vertrag