Der Viechmensch (Dokumentarfilm Südtirol)

Der Viechmensch

Ein seltsamer Geruch aus Mist, kaltem Rauch und Moder kriecht in die Nase. Die tickende Uhr, das Surren von unzähligen Fliegen und das Schlurfen seiner Schuhe auf den staubigen Fußbodenbrettern erzeugen eine unheimliche Stimmung. Ernst setzt sich und beginnt, eine Zigarette zu drehen. Aus dem Sammelsurium auf dem Tisch zieht er ein paar kleine milchige Gläser hervor, gießt uns süßen Wein ein. „Gsundheit!“ – Ernst, der Bergbauer, der Eremit, nimmt einen großen Schluck. An der Wand hinter ihm hängen dutzende Todesanzeigen. Darauf Verwandte, Freunde, Bekannte – ein Schrein für diejenigen, die der 70jährige überlebt hat. Seine Zigarette glüht beim ersten Zug hell auf und erleuchtet dabei sein von Sonne, Wind und Kälte ledernes, von tiefen Furchen durchzogenes Gesicht. Die stahlblauen, rot unterlaufenen Augen bekommen diesen schelmischen, fast diabolischen Blick. Als er den Rauch ausbläst, fängt er an zu lachen. Ein lautes, voluminöses Lachen, das ganz tief aus seinem Innersten zu kommen scheint. Nach und nach geht das Lachen in einen rasselnden, kratzigen Husten über. Zu viele Jahre Rauch, Staub und Kälte. Selbst bei Minusgraden schläft er im Stroh so wie es seine Vorfahren taten. Er kocht über offenem Feuer in einem über und über von Ruß und Staub bedeckten Raum. Hier hatte ihm und seinem Bruder die Mutter das Kochen beigebracht. Heute ist niemand mehr da. Nur seine geliebten Katzen. Dutzende. Hunderte. Man kann sie kaum zählen. Überall hocken sie. Laufen über Pfannen, die auf dem Boden liegen. Das Haus – offen und zugig – stammt aus dem 17. Jahrhundert. Der Dachstuhl ist marode. In jeder Ecke nicht nur dicke Spinnweben, sondern auch Skurriles aus Vorzeiten. Aber man muss schon genau hinschauen, denn es ist düster. Nur wenn die Sonne ihre Strahlen durch die winzigen verstaubten Fenster günstig hereinschickt, lässt sich mehr erkennen. Man kann kaum glauben, dass hier jemand wohnt. Doch Ernst lebt hier. Schon immer. Sein ganzes Leben lang. Doch dieses neigt sich langsam dem Ende zu.

Von hier oben hat man einen wunderschönen Blick ins Ridnaun-Tal. Und in der Ferne erkennt man den Brenner, den Inbegriff des Fortschritts in Süd-Tirol. Vehement wehrt sich Ernst gegen die Bedrohung der Moderne. Weiß er doch, dass die Menschen sein altes Haus, das Herzstück seines Daseins, abreißen wollen. Ein neues wollen sie errichten, womöglich sogar ein Hotel. Und was würde dann aus seinen Tieren? Was würde dann aus seinen Philosophien?

Ein Film über den Kampf zwischen Moderne und Traditionen. Über die Tragödie einer Ablösung, die nicht stattfinden kann. Über das Sterben eines Überbleibsels einer längst vergangenen Welt, auf die wir einen kurzen liebevollen Blick werfen.